Viele unserer Grundnahrungsmittel sind in Deutschland in ausreichender Menge vorhanden. Kartoffeln, Frischmilcherzeugnisse oder auch Getreide als Rohstoff für die Weiterverarbeitung z.B. zu Brot und anderen Backwaren. Die heimische Landwirtschaft erzeugt so viel davon, dass wir nicht von Importen aus dem Ausland abhängig sind. In Krisenzeiten ist das besonders wichtig. Dennoch gibt es Lebensmittel, die wir nicht in der Menge herstellen können, um den Bedarf der Verbraucherinnen und Verbraucher decken zu können. Bei Obst und Gemüse ist das zum Beispiel der Fall. Warum ist das so? Dazu haben wir mit Prof. Dr. Sebastian Hess, Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte an der Universität Hohenheim, gesprochen (Foto: © Universität Hohenheim/Corinna Schmid).
Aktuell liegt der Selbstversorgungsgrad in Deutschland bei Gemüse bei 37 Prozent, bei Obst sogar nur bei 22 Prozent. Warum ist das so?
Gemüse und Obst sind zwei sehr heterogene Kategorien, in welche nicht nur heimische Produkte sondern auch Sorten aus tropischen oder subtropischen Regionen fallen, die bei uns kaum wettbewerbsfähig angebaut werden können. Zudem spielt Saisonalität eine Rolle: wir haben uns daran gewöhnt, viele Produkte ganzjährig zur Verfügung zu haben, sodass auch heimisches Obst und Gemüse zum Teil importiert wird, um saisonbedingte Angebotslücken auszugleichen.
Niemand käme auf die Idee, bei Orangen oder Ananas nach dem Selbstversorgungsgrad in Deutschland zu fragen. Diese Früchte können bei uns ganz offensichtlich nicht wettbewerbsfähig angebaut werden. Bei anderen Obst- und Gemüsesorten sind die Gunststandorte in Deutschland mitunter ebenfalls begrenzt, ohne dass dies sofort augenscheinlich wäre. Die meisten Obst- und Gemüsesorten benötigen aber entweder günstige klimatische Bedingungen, besondere Böden, oder müssen sehr kapitalintensiv unter Glas erzeugt werden. Zudem ist die Verfügbarkeit permanenter und saisonaler Arbeitskräfte zu international wettbewerbsfähigen Löhnen ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit des Obst- und Gemüsesektors. Südeuropäische Länder haben für viele Kulturen mehr geeignete Standorte zur Verfügung und gleichzeitig keinen Mangel an Arbeitskräften.
Was müsste sich ändern, um den Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse in Deutschland zu steigern?
Der Selbstversorgungsgrad ist das Verhältnis von inländischer Produktion zu inländischem Verbrauch. Dabei werden meist viele Produkte zu einer größeren Kategorie aggregiert. Die Aussagekraft des Selbstversorgungsgrades ist entsprechend sehr begrenzt, wie die Beispiele von heimischen Äpfeln einerseits und tropischen Ananas andererseits zeigen. Ein hoher Selbstversorgungsgrad kommt immer dann ins Spiel, wenn man sich dafür interessiert, ob man den gegenwärtigen inländischen Verbrauch theoretisch aus inländischer Produktion decken könnte. Eine solche Betrachtung kann relevant werden, wenn in Krisenzeiten kein internationaler Handel mehr möglich ist.
Man darf den Selbstversorgungsgrad jedoch nicht als Indikator für sektorale Wettbewerbsfähigkeit missverstehen. Deutschland produziert diejenigen Obst- und Gemüsesorten, die bei gegebenen Standorten, Lohnkosten usw. wettbewerbsfähig vermarktet werden können. Alles weitere wird importiert. Wer mehr deutsches Obst und Gemüse vermarkten möchte, muss Verbraucher davon überzeugen, dass diese Produkte attraktiver sind als die Importe. Kurze Transportwege, hohe Qualitätsstandards und ein Beitrag zur heimischen Biodiversität könnten Argumente sein.
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