Montag, 12.September 2022

Warum Wildbienen mehr Beachtung verdienen

Thomas Köhler, ist gelernter Landwirt und arbeitete nach dem Studium in mehreren landwirtschaftlichen Betrieben sowie als Vertriebsmitarbeiter und Fachberater bei einem Hersteller chemischer Pflanzenschutzmittel. Heute ist er als selbständiger Berater unterwegs. Als solcher unterstützt er Landwirte unter anderem bei der Umsetzung von Biodiversitätsmaßnahmen in ihren Betrieben. Schon als Kind half er seinem Vater in der Imkerei, seitdem begleitet ihn dieses Hobby. Er engagiert sich im Imkerverein Stadtroda sowie im Landesverband der Thüringer Imker. Hier bekleidet er die Funktion des Obmannes für Landwirtschaft und Umwelt.

Seit mehr als 30  Jahren ist Jürgen Gräfe Hobbyimker. Der gelernte Gärtner und Diplom-Agrarpädagoge begeistert sich vor allem für die Wildbienen. „Sie stehen zu oft im Schatten der Honigbiene. Das haben sie nicht verdient“, findet er und will mit seinem Engagement als Vorsitzender des Imkervereins Stadtroda auch dazu beitragen, den Wildbienen eine stärkere Lobby zu geben.

 

Wenn es um Bienen und das Bienensterben geht, denken die meisten von uns automatisch an Honig und damit an Honigbienen. Diese kleinen Fluginsekten zu schützen, das haben sich mittlerweile viele zum Ziel gesetzt. Vom Balkongärtner, der seine grüne Oase mit bienenfreundlichen Pflanzen begrünt bis hin zum Hobbyimker, der auf noch so kleinem Raum Honig produzieren und so seinen Beitrag zum Schutz der Bienen leisten will. So gut und wichtig dieser Einsatz ist: Es ist nicht nur die Honigbiene, die besonders gehegt werden muss. Vor allem um ihre Verwandten, die Wildbienen, müssen wir uns mehr kümmern. Das sagen zwei, die das Imkern schon als Hobby hatten, als es noch als angestaubt galt. Jürgen Gräfe und Thomas Köhler haben als Imker zusammen mehr als 70 Jahre praktische Erfahrung im Umgang mit Bienen und geben ihr Wissen gern weiter. Zum Beispiel im Imkerverein Stadtroda, der in den letzten Jahren einen echten Ansturm erlebt und heute 90 Mitglieder hat. Regelmäßig treffen sie sich zum Erfahrungsaustausch. Jürgen Gräfe und Thomas Köhler ist es zugleich wichtig, auch Menschen außerhalb des Vereins zu erreichen. Sie wollen sowohl Verbraucherinnen und Verbraucher, als auch Landwirte dafür sensibilisieren, sich nicht nur um Honig-, sondern vor allem auch für Wildbienen einzusetzen. Wir haben mit den beiden gesprochen und jede Menge Tipps für Kleingärtner, aber auch für Landwirte erfahren. Spoiler: Den Kauf von Insektenhotels kann man sich meist sparen.

 

Was unterscheidet Wild- und Honigbienen?

TK: Zunächst muss man sagen, dass es weltweit etwa 30.000 verschiedene Wildbienenarten gibt, aber nur neun Arten der Honigbiene. Wildbienen sehen oft nicht unbedingt aus wie die „typische“ Biene. Sie sind manchmal recht unscheinbar. Zu den Wildbienen gehören aber zum Beispiel auch Hummeln.

JG: Wildbienen leben überwiegend solitär, sind also sozusagen Einzelgänger. Einige, wie etwa die Hummeln, leben halbsozial. Sie bilden also während des Sommers kleine Völker. Das unterscheidet sie von Honigbienen, die immer in der Gemeinschaft eines Bienenstaates zusammenleben. Außerdem speichern Wildbienen keinen Honig. Sie bevorraten sich nur mit geringen Mengen an Nektar, um kurzzeitig ungünstige Witterungsbedingungen überbrücken zu können. Das unterscheidet sie von Honigbienen. Wildbienen sammeln nur Pollen und Nektar, um ihre Brut, die Larven, bis zur Verpuppung zu ernähren. Bei ihnen gibt es keine „Ammenbienen“, die die Brut bis zum Schlüpfen betreuen. Das gibt es nur bei Honigbienen.

TK: Einige Wildbienenarten, nämlich die, die oligolektisch leben (Anm.: bestimmte Ernährungsgewohnheit von Bienen), haben sich auf den Pollen ganz bestimmter Wirtspflanzen spezialisiert. Nur dort, wie diese Pflanzen wachsen, kann man auch die entsprechenden Wildbienenarten finden. Aber: Pflanzen weg = Bienen weg!

JG: Das ist richtig. Je vielfältiger die Vegetation umso höher ist die Chance, dass auch oligolektische Arten Lebensraum finden.

TK: Für uns Imker sind die Honigbienen die „Generalisten“. Denn sie bevorzugen mit Raps, Obst- oder Lindenblüten Kulturen, die in großer Stückzahl vorkommen. Wir nennen solche Pflanzen Massentrachten.

Eine Frühlingspelzbiene sammelt Nektar an einer Lungenkraut-Blüte.

(Foto: Jürgen Gräfe)

 

Obwohl es so viele Wildbienenarten gibt, sind viele von ihnen vom Aussterben bedroht. Warum ist das so?

JG: Ein Stück weit kann man schon beobachten, dass die Lebensräume für Wildbienen kleiner geworden sind. Um sich zu vermehren, Nachkommen aufziehen, sich vor Feinden und ungünstiger Witterung schützen zu können, brauchen Wildbienen ganz bestimmte Standortbedingungen. Feldraine, Hecken mit Säumen: Das sind Lebensräume, die wieder hergestellt werden müssen. Ganz wichtig: Eine funktionierende Hecke braucht einen Saum aus Wildstauden oder Kräutern.

 

Wie sieht der ideale Lebensraum von Wildbienen aus?

JG: 80 Prozent dieser Arten leben in der Erde. 20 Prozent leben in Käfer-Nistgängen. Deshalb sind steile Abbruchkanten in sonniger Lage wichtige Nistplätze. Sie können leicht mit der Schaufel eines Hubladers geschaffen werden. Die Nistflächen dürfen frei von Grasnarben sein. So genannte „gestörte Flächen“, Experten sagen dazu auch Rohbodenflächen, sind wertvoller als dicht bewachsene Flächen.

 

 

Wozu brauchen wir Wildbienen? Weshalb ist es so wichtig, dass sie ausreichend Lebensraum haben?

JG: Wie alle Bienenarten brauchen wir die wilden Arten unter anderem für die Bestäubung von Nutzpflanzen. Besonders die „Gehörnte Mauerbiene“, die „Rostrote Mauerbiene“, aber auch Sandbienenarten dienen der Bestäubung von Obstgehölzen und Kreuzblütlern wie zum Beispiel Raps und Senf. Häufig werden im Obstbau die Kirschblüten mit Vlies vor Kälte geschützt. Hier sind Mauerbienen effektiver beim Bestäuben als Honigbienen.

TK: Außerdem sind manche Wildbienenarten, wie Hummeln und Pelzbienen auch bei kühleren Temperaturen aktiv. Sie können Obstbäume also auch dann effektiv bestäuben, wenn es im Frühjahr draußen noch kühler ist. Honigbienen hingegen werden erst ab circa 15 Grad Celsius aktiv.

So sieht eine Rohbodenfläche aus.

(Foto: Foto: TK-Agrarberatung)

Landwirte und vor allem Obstbauern haben also ein besonderes Interesse daran, dass es Wildbienen gibt?

 

TK: Absolut! Und viele von ihnen kümmern sich auch intensiv darum, etwas für den Bienenschutz und die Artenvielfalt zu tun.

 

Was zum Beispiel? Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Erfahrung heraus besonders wirksam?

TK: Ich arbeite seit vielen Jahren mit Landwirten zusammen und unterstütze sie in ihren Bemühungen, mehr für die Biodiversität zu tun. Wichtig ist ja immer, dass die Maßnahmen auch in der Praxis wirksam sind und nicht nur auf dem Papier funktionieren. Für Wildbienen sind Totholzhaufen wichtig. Sie sind leicht anzulegen und bringen unglaublich viel für die Artenvielfalt. Mancher Spaziergänger stört sich zwar daran, aber diese Haufen aus abgestorbenen Ästen sind wichtige Biotope. Landwirte können außerdem Abbruchkanten und Rohbodenstellen schaffen. Gut ist auch die Staffelmahd. Hier wird beim Mähen von Grünlandflächen immer ein Streifen bis zur nächsten Mahd stehen gelassen. Weit verbreitet ist mittlerweile das Anlegen von Blühflächen, zum Beispiel auch im Bereich von Wirtschaftsgebäuden. Unbedingt berücksichtigen sollte man dabei, Blühflächen und Saumstrukturen, oder besser gesagt Nahrungs- und Nisthabitate gut miteinander zu vernetzen, da der Bewegungsradius der nistenden Wildbienen mit circa  300 Metern sehr eng begrenzt ist. Isoliert im Feld liegende Blühflächen werden von den Wildbienen nur selten gefunden.

Das ist kein Abfall, sondern ein Beispiel für einen so genannten Totholzhaufen.

(Foto: Foto: TK-Agrarberatung)

Reicht das schon aus, Herr Gräfe? Was wünschen Sie sich zum Schutz der Wildbienen von den Landwirten?

JG: Feldraine und Hecken mit den dazugehörigen Heckensäumen sollten nicht zerstört bzw. wieder hergestellt werden. Um Artenvielfalt zu fördern kann man gut Flächen nutzen, die für die landwirtschaftliche Produktion weniger wertvoll sind. Hier auf Dünger zu verzichten bzw. Sträucher und Kräuter anzubauen, das ist ein guter Beitrag, der unter anderem für Wildbienen etwas ausmacht. Oft reicht es schon aus, wenn die Landwirte eine einfache Begrünung zulassen können und eventuellen Grasaufwuchs zurückdrängen. Das heißt, mehrmals im Jahr zu mähen und das Mähgut zu beseitigen ist ebenfalls wichtig.

Ein Beispiel für eine Hecke mit Saum.

(Foto: TK-Agrarberatung)

Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen selbst einen Beitrag dazu leisten, Bienen und andere Insekten zu schützen und ihnen das Überleben zu erleichtern. Vor allem Kleingärtnerinnen und -gärtner fragen sich, was sie gezielt tun können. Wie sieht ein bienenfreundlicher Garten aus?

JG: An erster Stelle steht hier, dass möglichst vielfältige Blütenpflanzen wachsen dürfen. Bitte darauf achten, dass die Blumen ungefüllte Blüten haben. Denn nur sie liefern genügend Nektar und Pollen. Ideal sind Wildpflanzen wie zum Beispiel die Ackerwinde. Als Gartenblumen sollten stets Arten oder Sorten mit ungefüllten Blüten angepflanzt werden. Ungefüllte Sorten von Dahlien, Rosen, Herbstastern, Bergkornblumen oder Pfingstrosen sind gut geeignet. Darüber hinaus sind aber auch die Blüten vom Schnittlauch, Thymian, Borretsch bei Wildbienen beliebt.

Wie sinnvoll ist es, Bienenweiden anzusäen?

JG: Jede noch so kleine Blühfläche ist sinnvoll. Sie kann ein „Trittstein“ für die Ausbreitung von Lebewesen sein. Das heißt: Von hier aus kann das Lebewesen zum nächsten „Trittstein“ hüpfen, springen laufen oder fliegen. Das ist wichtig für den genetischen Austausch, den „Insektensex“, und dient damit dem Erhalt der Arten. Wenn man Blühflächen anlegt, sollten diese möglichst mehrjährig sein und nicht nach einer Saison wieder verschwinden. Denn dann können sich bestimmte Arten zwar ansiedeln, verlieren ihren Lebensraum aber nach kurzer Zeit wieder. Das ist langfristig natürlich nicht sinnvoll.  

Was ist insbesondere für Wildbienen wichtig? Worauf sollten Hobbygärtner achten?

JG: Wenn man selbst einen Kleingarten hat, sollte man darauf achten, Flächen an sonnigen Lagen möglichst nicht tief umzugraben, sondern nur flach zu hacken oder mit Krallen zu stören. Damit wird gleichzeitig die Verdunstung gestört bzw. verringert. Natürlich sollten möglichst vielfältige Blütenpflanzen im Garten wachsen dürfen. Das sind auch Pflanzen, die manchmal als Unkraut bezeichnet werden. Dazu gehören z.B. Rainfarn, Kletten, Distelarten, Malven. Also solche Pflanzen, die typisch für Feldraine sind. Grünflächen sollten nur ein bis zwei Mal im Jahr gemäht und keinesfalls gedüngt werden. Die Mahd sollte zeitlich etwa kurz nach dem Höhepunkt der Blüte der Blühpflanzen stattfinden. Gut ist es, wenn abschnittsweise oder schachbrettartig gemäht wird. Und: Je mehr Fehlstellen der Rasen enthält, desto besser. Ein dichter Rasenteppich ist eher ungünstig für Wildbienen.

In den letzten Jahren sind Insekten- und Bienenhotels in Mode gekommen. In Super- oder Bau- und Gartenmärkten gibt es eine Vielzahl an Modellen. Auch DIY-Anleitungen gibt es unzählige. Worauf muss beim Kauf oder Bau geachtet werden, wenn man Wildbienen helfen will?

TK: Viele der am Markt erhältlichen Modelle sind leider für das Auge der Käufer optimiert und sollen vor allem dekorativ aussehen. Nur wenige sind wirklich für Wildbienen geeignet.

JG: Ja, das stimmt. Grundsätzlich können Insektenhotels für 20  bis 25  Prozent der Wildbienenarten sinnvoll sein. Es ist darauf zu achten, dass die Bohrgänge mindestens fünf Zentimeter tief sind. Manchmal gibt es Modelle, die nur zwei Zentimeter tief sind. Das ist sinnlos. Auch Kiefernzapfen, Heu, Stroh oder anderes Zeug sind sinnlos und zum Teil sogar kontraproduktiv. Denn diese Dinge sind für Ohrenkriecher ideal. Die fressen zwar Blattläuse, aber auch die Larven von Wildbienen. Andere Insekten wie Schwebfliegen, Schmetterlinge, Ohrenkriecher und Florfliegen sollten in gesondert angeordneten „Insektenhotels“ gefördert werden. Auch Baumscheiben können als Nisthilfen dienen. Nur ist es ist schade, dass selbst in offiziellen Ratgebern immer wieder frontal angebohrte Baumscheiben als Nisthilfen empfohlen werden. Durch vermehrt auftretende Trockenrisse kann Feuchtigkeit eindringen. Das führt zum verstärkten Verpilzen und Parasitieren der Wildbienenbrut. Besser ist es, Kernholz anzubohren.  

Was ist als Nisthilfe für Wildbienen besser geeignet?

JG: Eine Grundregel ist, die Optik erst einmal hintenanzustellen. Effektiver Schutz von Wildbienen funktioniert manchmal schon mit wenigen Handgriffen. Man kann zum Beispiel Tot- oder Altholz nutzen. Wenn man, etwa in einem alten Baumstamm, Löcher vorbohrt, sollten diese einen Durchmesser von zwei bis zehn Millimeter haben und acht bis zwanzig Zentimeter tief sein. Auch unverputzte Lehmwände, zum Beispiel auch mit vorgebohrten Löchern, sind gut. Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bohrgänge glatt und nicht rauh und ausgefranst sind. Sonst können die Flügel der nistenden Weibchen zerfetzt werden und sie haben dann eine zu kurze Zeit, um ihre Brut anzulegen.

Nisthilfen können auch hohle verholzte Stängel, etwa von Forsythien sein. Wenn die Stängel ausgebohrt wurden, müssen sie am Ende verschlossen sein. Hohle Stängel müssen immer hinter dem Knoten abgeschnitten werden.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


Welche bienenfreundlichen Pflanzen sind für den Kleingarten geeignet?

Wir haben eine kleine Auswahl zusammengestellt.

  • Borretsch
  • Brombeere
  • Efeu
  • Felsenbirne
  • Geißblatt
  • Herbstzeitlose
  • Himbeere
  • Haselnuss
  • Krokus
  • Kugellauch
  • Liguster
  • Oregano
  • Pfaffenhütchen
  • Rote Johannisbeere
  • Salbei
  • Schneeglöckchen
  • Schnittlauch
  • Stachelbeere
  • Thymian
  • Traubenhyazinthen
  • Weißdorn
  • Wildrose
  • Zaunwicke
  • Zitronenmelisse

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