Dienstag, 4.Juli 2023

„Arzneipflanzen bieten als heimischer Rohstoff unheimliche Vorteile“

Experteninterview: Diese Rolle spielen Arzneipflanzen für die moderne Pharmazie

Anbau und Verwendung von heimischen Heilpflanzen haben in Deutschland eine lange Tradition. Doch wie ist es eigentlich aktuell um den Einsatz in pharmazeutischen Produkten bestellt? Um das herauszufinden, haben wir beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. nachgefragt. Dr. Barbara Steinhoff, die Leiterin der Abteilung Besondere Therapierichtungen und Pharmazeutische Technologie/GMP, erzählte uns im Interview, welche Relevanz Arzneipflanzen für die moderne Pharmazie haben, ob man einen Engpass befürchten muss und worin die Vorteile des heimischen Anbaus liegen.

 

Bereits im Mittelalter und noch früher setzten die Menschen auf die heilende Wirkung von bestimmten Kräutern. Welche Relevanz haben Arzneipflanzen für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten heute?

BS: Pflanzliche Arzneimittel sind wichtiger Bestandteil unseres Arzneimittelmarktes, insbesondere im nicht verschreibungspflichtigen Bereich. Auf den Umsatz bezogen machen sie in diesem Bereich etwa ein Viertel des Gesamtmarktes aus. Zur Relevanz gehört aber auch der Verbraucherwunsch nach Arzneimitteln, die natürlichen Ursprungs sind. Als Arzneimittel sind sie behördlich geprüft, also zugelassen, weshalb Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bewiesen sind. Auch zeichnen sich pflanzliche Arzneimittel dadurch aus, dass sie auch ein günstiges Sicherheitsprofil – also wenig Nebenwirkungen – haben. Das spielt bei der Verbraucherakzeptanz auch immer eine sehr große Rolle.                                                                              Foto: BAH

Für welche Produkte sind Arzneipflanzen denn besonders wichtig?

BS: Der größte Bereich sind die pflanzlichen Arzneimittel. Eine deutlich kleinere Menge geht außerdem in homöopathische Arzneimittel pflanzlichen Ursprungs.

Gibt es aktuell Engpässe bei der Versorgung mit Wirkstoffen, die aus Arzneipflanzen gewonnen werden?

BS: Ein gravierender Engpass ist mir im Moment nicht bekannt. Sie sind zumindest nicht von der derzeit diskutierten Problematik der Lieferengpässe betroffen wie es einige chemische Arzneimittel sind. Sicherlich kann es auch bei Arzneipflanzen mal zu Engpässen kommen, wenn es beispielsweise Ernteausfälle gibt und die Pflanze nicht lieferbar ist. Aber das ist eher ein Ausnahmefall.

Gibt es trotzdem Gründe, die aus Ihrer Sicht für eine Ausweitung des Anbaus von Arzneipflanzen in Deutschland sprechen?

BS: Ja, da gibt es sicher einige. Wir haben ja für pflanzliche Arzneimittel sehr strenge Qualitätskriterien, zum Beispiel, was den Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen angeht. Das pharmazeutische Unternehmen sollte engen Kontakt zum Anbauer haben, um die erforderlichen Qualitätskriterien abzusprechen. Kurze Wege sind hier sehr wichtig, weshalb viele Unternehmen den einheimischen bzw. europäischen Anbau vorziehen, sofern die betreffenden Arzneipflanzen in Abhängigkeit von Klima, Böden etc. anbaubar sind.

Trotzdem entscheiden sich nur wenige Landwirte in Deutschland für den Anbau. Welche Herausforderungen bringt es einen Betrieb denn mit, wenn er Arzneipflanzen anbauen will?

BS: Zum Arzneipflanzenanbau gehört ein spezielles Knowhow, z.B. was die Erntetechnik betrifft. Auch sind Arzneikräuter nicht davor gefeit, dass in den Feldern auch Unkräuter wachsen. Ein Einsatz von Herbiziden ist immer mit Zurückhaltung und gesetzlichen Einschränkungen sowie Rückstandsprüfungen verbunden. Andererseits gibt es im Arzneipflanzenanbau eine relativ hohe Wertschöpfung. Das heißt, die Materialien sind am Schluss relativ teuer. Das ist attraktiv, aber es ist auch mit Risiken verbunden, wenn es beispielsweise durch Trockenheit Ernteausfälle gibt. Ein weiterer Punkt sind die hohen Qualitätskriterien für pflanzliche Arzneimittel und ihre Ausgangstoffe, die in der Wareneingangskontrolle vom pharmazeutischen Unternehmen routinemäßig geprüft werden.

Gehen wir einen Schritt weiter vom Anbau der Arzneipflanzen zur Erzeugung von pharmazeutischen Produkten: Welche Rolle spielt hier die Herkunft der Rohstoffe?

BA: Arzneipflanzen aus deutschem bzw. europäischem Anbau bieten als heimischer Rohstoff große Vorteile. Man muss hier die Gesichtspunkte des Preises und der kurzen Wege in die Waagschale werfen – und den Aspekt der Qualität des Materials, das relativ zügig zum Abnehmer transportiert werden kann. Das ist also auch ein Pluspunkt des deutschen Anbaus.

Frau Dr. Steinhoff, vielen Dank für das Gespräch!

 


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